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Warum asiatische Schüler in unseren Schulen so erfolgreich sind

Von RAINER WERNER

Schüler mit Migrationshintergrund sind in unseren Schulen unterschiedlich erfolgreich. An der Spitze liegen Schüler mit asiatischer Einwanderungsgeschichte. Sie könnten auch einheimischen Schülern als Vorbild dienen, weil sie Tugenden an den Tag legen, die bei uns in Misskredit geraten sind:  Anstrengungsbereitschaft und Fleiß. (Am 30. Januar auf CICERO-online veröffentlicht)

Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, lässt sich an den Bevölkerungsdaten ablesen. Zwischen 2011 und 2020 stieg die Zahl der Ausländer in Deutschland von 6,3 Millionen auf den bisherigen Höchststand von 10,6 Millionen. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von   12,7 Prozent. Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund ist noch einmal deutlich höher: Im Jahr 2020 hatten 21,9 Millionen der insgesamt 81,9 Millionen Einwohner in Deutschland eine Einwanderergeschichte (Zugewanderte und ihre Nachkommen). Das entspricht einem Anteil von 26,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Die Zahl der Kinder mit Migrationsgeschichte ist naturgemäß noch höher, weil Nichtdeutsche im Durchschnitt mehr Kinder haben als geborene Deutsche. 2019 hatten 5,3 Millionen Kinder unter 18 Jahren einen Migrationshintergrund, das entspricht einem Anteil an der gesamten Jugendpopulation von 39 Prozent.
In den Schulen unserer Großstädte sitzt in den Klassen ein buntes Völkergemisch, auf den Pausenhöfen erklingt ein vieltöniges Sprachengewirr. Da sich Zugewanderte gerne dort ansiedeln, wo schon Angehörige ihrer Nation oder ihrer Ethnie wohnen, haben sich städtische Wohnquartiere herausgebildet, die von ausländischen Communities dominiert werden. Manche Quartiere sind zu Gettos verkommen, weil sich nicht alle Zugewanderten unserer Kultur der Ordnung und Disziplin verpflichtet fühlen. Dass viele Deutsche solche Wohnviertel verlassen, um sich in weniger belasteten Quartieren niederzulassen, verschärft die Lage noch. Ab und zu liest man in der Presse, dass eine Schule in einem sozialen Brennpunkt „kollabiert“ sei, weil die Lehrkräfte der chaotischen Situation nicht mehr Herr werden konnten. Ein Fall ging bundesweit durch die Presse. Im Schuljahr 2005/2006 forderte das Lehrerkollegium der Neuköllner Rütli-Schule die Berliner Schulverwaltung auf, die Schule zu schließen. Sie sähen sich nicht mehr in der Lage, der Gewalt der Schüler Stand zu halten. Mit frischem Personal und einer neuen Pädagogik gelang schließlich die Rettung der Schule.
Erfolgreiche vietnamesische Schüler
In den Klassenzimmern unserer Schulen sitzen Schüler mit fremdländischen Wurzeln, die nie im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Sie schlagen sich nicht auf dem Pausenhof, sind nicht aufsässig und verstoßen auch nicht gegen die Regeln. Sie sind höflich, zuvorkommend und leistungsorientiert. Gemeint sind die Kinder asiatischer Eltern. In Deutschland leben zurzeit 2,46 Millionen Menschen mit asiatischen Wurzeln.  Chinesen, Inder, Vietnamesen und Thais bilden unter ihnen die größten Gruppen. Oft habe ich im Lehrerzimmer Kollegen von asiatischen Schülern schwärmen hören, weil sie sich still und beharrlich, mit Fleiß und Ehrgeiz an die Leistungsspitze emporarbeiten. Die Zahlen sprechen für sich: Im Schuljahr 2013/2014 schafften 47,2 Prozent der deutschen und 64,4 Prozent der vietnamesischen Kinder den Sprung aufs Gymnasium. Ihr Anteil ist fünfmal so hoch wie der der türkischen Schüler. Wie lässt sich dieser enorme Unterschied zwischen den ethnischen Gruppen erklären? Dieser Frage sind 2015 der Soziologe Bernhard Nauck von der Universität Chemnitz und Erziehungswissenschaftler Birger Schnoor von der Universität Hamburg nachgegangen. In einer empirischen Studie untersuchten sie 720 deutsche, vietnamesische und türkische Familien. Um valide Ergebnisse zu erreichen, haben die Wissenschaftler nur Familien mit vergleichbarem Einkommen in die Studie einbezogen. Zu ihrer eigenen Überraschung konnten sie eine zuvor gehegte Vermutung ausschließen. Vietnamesische Eltern erziehen ihre Kinder keinesfalls strenger als deutsche oder türkische. Das gern gehegte Vorurteil „autoritärer Führungsstil gleich Bildungserfolg“ traf hier also nicht zu. Tiger Moms gibt es unter den Asiaten, die in Deutschland leben, offensichtlich nicht. Die Forscher fanden heraus, dass vietnamesische Eltern vor allem höhere Erwartungen an ihre Kinder hegen, als dies bei deutschen und türkischen Eltern der Fall ist. Schon beim geringsten Nachlassen bei den Leistungen spornen sie ihre Sprösslinge an. Auch Nachhilfe wird gerne bezahlt, damit sich die Leistungen wieder verbessern. Für den Soziologen Bernhard Nauck stehen die Vietnamesen für ein wichtiges Gesetz der Migration: „Migranten sind aufstiegsorientiert, sonst wären sie nämlich nicht gewandert; Bildung ist dabei die einzige Karte, auf die sie wirklich setzen können.“
Spaßkultur kontra Leistungsprinzip
Andere Bildungswissenschaftler, die über den Schulerfolg vietnamesischer Kinder in Deutschland forschen, betonen, dass es vor allem die bei uns nicht mehr hoch angesehenen Sekundärtugenden seien, die den Erfolg der Kinder verbürgen: Fleiß und Disziplin. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Vietnamesen einen Begriff wiederbelebt haben, der aus unserem didaktischen Vokabular weitgehend verschwunden ist: Fleiß. Die moderne Didaktik betont, Unterricht müsse vor allem spannend sein und Spaß machen. Die Eigenanstrengung beim Lernen blendet sie gerne aus. Fortschrittliche Medienvertreter spielen dieses Spiel allzu gerne mit. Der Journalist Christian Füller hat in seinem Elternratgeber „Muss mein Kind aufs Gymnasium“ (2018) die Bespaßung der Schüler zum entscheidenden Paradigma der „modernen“ Schule erklärt. Suggestiv fragt er die Eltern: „Sie wollen, dass Ihr Kind mit mehr Spaß lernt, also ohne Druck?“ Unter Druck versteht er das Leistungsprinzip, das in der Schule unverzichtbar ist, wenn man auf vernünftige Lernergebnisse überhaupt noch Wert legt. Wenn Spaß die höchste didaktische Kategorie ist, drängt man die Lehrkraft in die Rolle des Entertainers und gibt letztlich ihr die Schuld, wenn der Schüler bei der Klassenarbeit oder in der Prüfung versagt. Seine Performance war dann eben nicht zündend genug. In dieser Haltung liegt der Grund für die vielen Klagen, mit denen enttäuschte Eltern beim Schulleiter vorstellig werden.  Einem vietnamesischen Vater käme es nie in den Sinn, dem Mathematiklehrer vorzuwerfen, er habe seinen Sohn Hung im Unterricht nicht ausreichend motiviert, weshalb er eine Fünf geschrieben habe. Ich kann mich an die vietnamesische Schülerin Hoa erinnern, die mit fünf Jahren nach Deutschland gekommen war. In der 7. Klasse des Gymnasiums, in der ich sie in Deutsch unterrichtete, gehörte sie schon zu den Besten. In der Orthografie war sie nahezu fehlerfrei. Sie erklärte mir ihr Erfolgsrezept. Die Familie hatte ihre deutsche Nachbarin, eine freundliche ältere Dame, gebeten, mit dem Mädchen jeden Nachmittag zu üben. Sie schrieb unzählige kleine Diktate, bis sie das Regelsystem der Orthografie perfekt beherrschte. Welcher deutsche Schüler würde sich einer solchen Mühe unterziehen, um seine Rechtschreibschwächen auszubügeln?  In meiner eigenen Schulzeit hieß es noch: „Ohne Fleiß kein Preis!“ – In der Spaß- und Eventgesellschaft verhallt der Appell an Fleiß und Anstrengung oft ungehört. Müssen wir von asiatischen Einwandererkindern wieder die Tugenden lernen, die uns in der Vergangenheit ausgezeichnet haben?
Bei den Asiaten funktioniert Aufstieg durch Bildung
Inzwischen gibt es Studien, die sich mit der Integration asiatischer Einwanderer   in westliche Gesellschaften beschäftigen. Amerikanische Ökonomen haben herausgefunden, dass in den USA rund doppelt so viele Kubaner (65 Prozent) unter der Armutsgrenze leben wie Vietnamesen (35 Prozent). Unter den Existenzgründern sind Asiaten überdurchschnittlich häufig vertreten. Dabei waren die Ausgangsbedingungen – schlechte Sprachkenntnisse, niedrige Schulbildung – bei beiden Einwanderungsgruppen vergleichbar. Wie kommt dieser Erfolg asiatischer Einwanderer zustande? Schlüssel ist auch hier der Erfolg in der Schule. 2014 veröffentlichten die beiden Bildungsforscher Amy Hsin (Universität von New York) und Yu Xie (Universität Michigan) eine Vergleichsstudie, in der sie untersuchten, wie amerikanische und asiatische Kinder in der Schule abschneiden. Die Asiaten waren tatsächlich erfolgreicher. Da bei der Studie nur Schüler mit annähernd gleicher Intelligenz zum Zuge kamen und zudem der Bildungshintergrund der Eltern herausgerechnet wurde, blieben als Erfolgsrezepte nur Ehrgeiz und Anstrengung. Die Einwanderkinder arbeiteten hart, um die Schule erfolgreich zu meistern. Nur so konnten sie im späteren Erwerbsleben sozial aufsteigen. Die Forscher haben herausgefunden, dass   sich beide Gruppen auch in ihrer Mentalität unterscheiden. Während amerikanische Eltern daran glauben, dass Intelligenz vererbt werde, waren die asiatischen Eltern davon überzeugt, dass Intelligenz trainiert und durch kontinuierliche Anstrengung gesteigert werden könne. Auch in Großbritannien sind Kinder asiatischer Herkunft äußerst erfolgreich. In Mathematik sind sie britischen Schülern deutlich überlegen.
Bei Zulassungstests zu amerikanischen Universitäten schneiden Schüler mit asiatischer Zuwanderergeschichte inzwischen am besten ab. Prompt sind einige Elite-Colleges vor kurzem dazu übergegangen, für asienstämmige Schüler eine Zugangsbeschränkung einzuführen, um den Kindern aus anderen Ethnien, z.B. Afroamerikanern und Latinos, größere Chancen einzuräumen. Asiatische Eltern reichten daraufhin Klage ein, weil sie in dieser Quote einen Verstoß gegen das Leistungsprinzip sehen. Der Oberste Gerichtshof der USA wird sich mit dem Fall beschäftigen müssen. Die positive Diskriminierung, die sich in der sog. Affirmative Action ausdrückt, ist Ausdruck einer Identitätspolitik, die sich von Selbstverantwortung und Leistungsbereitschaft verabschiedet hat und Bildungschancen nach Hautfarbe vergibt: Rassismus für einen guten Zweck.
Asiatische Länder bei PISA vorn
Auch in ihren Heimatländern sind die schulischen Erfolge asiatischer Kinder außergewöhnlich gut. Beim PISA-Vergleichstest der OECD von 2012, bei dem Mathematik den Schwerpunkt bildete, belegten sieben asiatische Länder die ersten Plätze. Erstaunlich war dabei der Aufstieg Vietnams.  Gleich bei ihrer ersten PISA-Teilnahme belegten Vietnams Schüler im Fach Mathematik hinter Deutschland (Platz 16) den 17. Platz. Damit ließen sie Länder mit großer Bildungstradition, die zudem ein Vielfaches für Bildung ausgeben, hinter sich: Frankreich (25), Vereinigtes Königreich (26), Italien (32). Das ist ein Beleg dafür, dass mehr Geld nicht automatisch bessere Bildung garantiert. Bei der PISA-Studie von 2018 setzte sich der Erfolg asiatischer Schüler fort. In Mathematik belegten Japan, Korea, Singapur und China die ersten Plätze. Es kann keinen Zweifel geben: Die Sekundärtugenden, zu denen asiatische Schüler von ihren Lehrern und Eltern angehalten werden, verbürgen den Erfolg.
Mit Konfuzius zum Erfolg
Da die asiatischen Einwanderer in allen Ländern, in denen sie eine zweite Heimat gefunden haben, gleichermaßen erfolgreich sind (USA, Kanada, Frankreich, Deutschland, Schweiz), kann der Erfolg nicht an den Bedingungen der aufnehmenden Länder liegen. Man kann annehmen, dass es Eigentümlichkeiten der asiatischen Kultur gibt, die die Emigranten in jedes Land mitnehmen und dort weiterhin pflegen. Diese Prägung garantiert auch im Gastland den Erfolg. Von dem Soziologen Max Weber kennen wir die These, wonach die religiöse Prägung eines Landes den ökonomischen Prozess bestimmen kann. Er sah in der protestantischen Ethik die Voraussetzung für die Entstehung des Kapitalismus begründet. Im Denken von Martin Luther war der Beruf eine von Gott gestellte Aufgabe, die es zum Wohlgefallen Gottes möglichst gut auszuführen galt. In der Lehre Calvins kam noch ein besonderer Akzent hinzu. Calvin glaubte, dass man aus der Lebensführung und aus dem materiellen Erfolg des Menschen die Bevorzugung durch Gott ablesen könne, was zwangsläufig dazu führte, dass sich die Menschen bei der Erfüllung ihrer irdischen (beruflichen) Pflichten anstrengten, um sich der göttlichen Gnadenwahl als würdig zu erweisen.  Die konfuzianisch-buddhistisch geprägte Kultur Asiens verlangt, dass der Mensch im Einklang mit dem Kosmos lebt. Dieses Postulat hat zur Folge, dass man sich harmonisch in die vorgegebene Gesellschaft einfügt und alles unternimmt, um deren Anforderungen optimal zu erfüllen: „Wo immer du bist, trage dazu bei, dass die Gemeinschaft in Harmonie lebt“ (Konfuzius). Den Weg zu  „Harmonie und Mitte, Gleichmut und Gleichgewicht“  könne man am besten  durch Bildung erreichen. Aufschlussreich ist auch ein chinesisches Sprichwort, das ich von einer chinesischen Schülerin gelernt habe: „Wenn du die Welt verbessern willst, so gehe dreimal durch dein eigenes Haus“. Mit einer solchen Einstellung wird Integration in jedem Land der Welt gelingen.
Wenn Aufstieg durch Bildung eine vom Glauben vorgegebene Verpflichtung darstellt, erklärt sich auch, weshalb vietnamesische Eltern ihren schulpflichtigen Kindern jede erdenkliche Hilfe und Unterstützung angedeihen lassen. Mir erzählte eine vietnamesische Schülerin, wie ihre Eltern darauf reagierten, als sie die Aufnahme ins Gymnasium geschafft hatte. Sie räumten in der Wohnung den besten Platz für ihren Schreibtisch frei. Außerdem wurde sie von allen häuslichen Pflichten, wie Einkaufen, Abwaschen, Müllentsorgung, entbunden, damit sie sich voll auf die Schule konzentrieren kann. Dass eine solche Erwartungshaltung der Eltern auch einen seelischen Druck auf die Kinder ausüben kann, ist nicht völlig auszuschließen. Ich habe jedoch nie erlebt, dass vietnamesische Schüler deswegen in eine seelische Krise geraten wären. Sie strahlten das Glück derer aus, denen es gelungen ist, etwas Großartiges zu leisten. Mit dem Leistungsprinzip hat man bei vietnamesischen Schülern keinerlei Probleme.

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